Es ist 9 Uhr früh am 3. März 2025, Rosenmontag.
Marie wurde von einer Freundin aus Studienzeiten zu einer Karneval-Homeparty eingeladen. Einmal Karneval in Köln erleben, gehörte zu den Dingen, die Marie schon immer mal machen wollte. Marie kommt aus Wien, daher wohnte sie während der Karnevalszeit bei ihren Kölner Verwandten, Onkel Nik und Tante Elli, die zusammen mit ihrem Neugeborenen Henrik lebten. Die Jungfamilie besitzt eine 2-Zimmer-Wohnung. Ein Doppelbett mit angebrachten Bettgittern stand im Wohnzimmer, und ein Einzelbett im Arbeitszimmer. Marie schlief im Einzelbett.
„Hol uns bitte ein paar Muzemandeln und Berliner von Reiner Hütten vorne am Platz! Hier, ich geb‘ dir einen Fuffi. Nimm noch andere Sachen mit, alles, was dir ins Auge springt!“, flüsterte Onkel Nik. Henrik schlief noch. „Und nimm die Schlüssel mit, die Klingel funktioniert ja nicht.“
Obwohl Marie keinen Schimmer davon hatte, was Muzemandeln und Berliner waren, machte sie sich folgsam auf den Weg. Immerhin kannte sie Reiner Hütten, den Bäcker am Platz direkt gegenüber der Wohnung. Zu Maries Verwunderung schien ganz Köln so früh bereits im Partymodus zu sein, denn die Straßen waren voll von betrunkenen Menschen in Kostümen. Es schien auch, als würde ganz Köln heute am Rosenmontag um 9 Uhr in der Früh Muzemandeln und Berliner kaufen wollen. Die Schlange beim Bäcker war gigantisch. „Na, super“, dachte sich Marie und pustete Luft aus.
Nach vier Minuten anstehen brach plötzlich ein ohrenbetäubender Alarm aus. Die Menschen sahen um sich, hielten sich die Ohren zu, aber es bewegte sich noch niemand vom Fleck. Anscheinend nimmt man in Köln Muzemandeln und Berliner sehr ernst. Als die ersten begannen, sich aus der Schlange zu bewegen, wurde es immer hektischer. Marie rannte aus der Menge, ohne abzuwarten, ob es ein Fehlalarm war oder nicht. Ihre größte Furcht war es, in einer panischen und hysterischen Menschenmenge gefangen zu sein. Das wäre das Schlimmste. Also zurück zu Onkel Niks Wohnung, ohne Muzemandeln und Berlinern.
Kurz vor der Haustür kamen ihr zwei Männer im Kostüm entgegen. Naja, sie schlenderten eher. Sie wirkten ziemlich betrunken. „Halt, junge Dame, ich muss Sie leider aufschreiben, wegen Diebstahl meines Herzens“, sagte einer der beiden und zeigte mit dem Finger auf Marie. „Name und Telefonnummer bitte!“, fuhr er streng fort und zog Block und Stift.
„Uschi“, erwiderte Marie unbeeindruckt. Der Mann schrieb den Namen auf, als ihm Block, Stift und Handschellen aus der Hand purzelten und direkt auf den dreckigen Boden fielen. Die Männer lachten und gingen weiter. Sie hatten schon wieder die nächste Dame anvisiert. Marie ging ebenfalls weiter und hörte nur noch im Hintergrund: „Halt, junge Dame …“
Als Marie die Wohnungstür aufsperrte, hörte sie Gekicher und Geschmatze.
„Oh bitte nicht!“, dachte sie sich. An zweiter Stelle auf Maries Liste der Ängste stand, Verwandte beim Sex zu erwischen. „Schon zurück, Marie? Warst du nicht beim Bäcker?“, fragte ihr Onkel.
„Es gab einen Alarm“, erwiderte sie. Marie stand im Wohnzimmer und übergab die Schlüssel. Alle drei lagen noch im Bett.
„Was ist mit Tante Elli los?“, fragte Marie und musterte den kichernden Deckenberg neben ihrem Onkel.
„Sie schläft. Ihr geht’s nicht gut“, stammelte Onkel Nik. Durch einen Riss in der Decke konnte man jedoch sehen, dass sie überaus wach war.
„Whatever. Ich geh schauen, ob das Paket da ist“, murmelte Marie und öffnete die Wohnungstür.
Und als ob es das Schicksal gewollt hätte, sah Marie jemanden von der Post gerade Pakete einordnen.
„Yes, vielleicht ist ja der Unterrock für mein Burlesque-Kostüm angekommen!“, dachte sie sich. Die Wienerin hatte ihr Kostüm für die Karnevalsparty bereits perfekt geplant. Es gab nur leider eine Verspätung mit der Lieferung des Unterrocks. Sie hatte die Lieferadresse auf Onkel Niks Adresse ändern lassen, in der Hoffnung, den Unterrock doch noch rechtzeitig für die Party zu bekommen.
„Haben Sie zufällig ein Paket für einen Herrn Nikolaus Müller?“, fragte Marie. Die Frau der Post schaute in ihrem Wagen nach.
Währenddessen öffnete sich die Tür des Nachbarn. Eine Person in schwarz-dunkelrotem Samt-Bademantel und mit einer Pfeife im Mund trat heraus.
„All diese Pakete sind für mich. Ich habe 100 Flaschen Champagner bestellt. Wir lassen es heute ordentlich krachen. Ihr seid alle eingeladen“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Marie sah ihn nur angewidert an.
„Hier bitte, ein Paket an Herrn Nikolaus Müller, hier unterschreiben bitte“, sagte die Postlieferantin. Marie unterschrieb. Bevor Marie verstand, was passierte, riss der Nachbar ihr das Paket aus der Hand, rannte die Treppen hinauf ins Zwischengeschoss, nahm den Lift und fuhr los.
„Nicht sein Ernst“, dachte Marie sich. Das Gebäude hatte nämlich 10 Stockwerke. Woher sollte sie auf die Schnelle wissen, wo er anhalten würde? Sie rannte aus Reflex alle Stockwerke hinauf. Auf halbem Weg merkte sie, dass sie gleichauf waren. Er fuhr in den obersten Stock.
Zu spät.
Der Nachbar hatte das Paket mittlerweile aufgemacht und stand nun in Samtbademantel und passendem Unterrock vor Marie.
0 Kommentare